Bhutan und die Zeit
Turmuhr in Thimphu
So oft hören wir: Bhutan, das ist eine andere Welt, eine andere Realität. Das ist alles wahr. Aber was genau lässt uns die Andersartigkeit dieser Welt spühren? In der Kommunikation mit den Bhutanern und beim Beobachten dieses besonderen Völkchens habe ich oft bemerkt, wie sehr sich ihre Denkweisen von den uns gewohnten unterscheidet. Und zwar in sehr vielen Bereichen des Lebens. Hier möchte ich zunächst einmal über das Zeitgefühl der Bhutaner berichten...

Vermutlich sind die Bhutaner die unpünklichsten Menschen unseres Planeten. Jedenfalls habe ich noch nirgends solch eine Einstellung zur Zeit angetroffen, wie in Bhutan.
Zunächst war es schockierend, ich verstand nicht, wie eine Gesellschaft mit solch einen Verhältnis zu zeitlichen Abmachungen überhaupt funktionieren kann. Aber als ich lernte den Spielregeln diese Landes zu folgen und mich zu entspannen, stellte sich alles Stück für Stück an den richtigen Platz und merkte, dass unser wahnsinniges Befolgen von Zeitplänen meist sehr viel Stress mit sich bringt.

Hier, in Bhutan, leben die Menschen bestimmten Zyklen folgend...morgens, mittags, abends...Und das sind die mehr oder weniger genauen zeitlichen Orientierungspunkte. Das heißt, eine für morgens angesetzte Verabredung findet zu irgendeiner Zeit vor dem Mittagessen statt. Mittags, das ist dann einfach nach dem Mittagessen und bis zum Abendbrot und abends bedeutet schlicht irgendwann nach Sonnenuntergang. Aber sogar diese Angaben sind nicht obligatorisch. Vor allem wenn es nicht um Arbeit geht.

Ein Beispiel: Sie laden Gäste zum Abendessen ein. Diese können in dem Zeitfenster zwischen 17 und 22 Uhr auftauchen. Niemand macht eine feste Zeit wie 18 oder 19 Uhr aus. Oder des Besuch bleibt ganz aus, dann haben sich die Pläne geändert und niemand ist beleidigt, telefoniert hinterher und macht Vorwürfe.

Eines Tages luden wir Freunde mit ihren Kindern zu uns ein. Da uns die Erfahrung lehrte, dass die Bhutaner sehr entspannt mit Terminen umgehen, verabredeten wir einen relativ frühen Zeitpunkt, 16 Uhr, in der Hoffnung, sie spätestens um 18 Uhr bei uns begrüßen zu können. Aber es sollte anders kommen. Sie kamen um 21:30 Uhr! Damals verstand ich noch nicht die hiesigen Regeln, regte mich auf, deckte mehrmals den Tisch, echauffierte mich über Respektlosigkeit gegnüber der Zeit anderer uns so weiter. Unsere Kinder haben auch nichts verstanden, aßen zu Abend und legten sich schlafen, denn sie hatten einen festen Tagesablauf, anders als bhutanische Kinder.
Bei Eintreffen legten uns unsere Freunde ganz offen die Geschichte ihrer Verspätung dar: Schon auf dem Weg zu uns erhielten sie eine Nachricht von Verwandten, dass eine ihrer Nichten im Krankenhaus liegt und besucht werden muss. Also fuhren sie hin (nätürlich, ohne uns zu informieren) und als sie vom Krankenhaus wieder aus irgendeinem Grund zurück nach Hause fuhren, fühlten sie sich etwas erschöpft. Also legten sie sich für ein Nickerchen von zwei Stunden hin, was erklärte, warum sie nicht auf meine Anrufe reagierten. Wieder wach, fiel ihnen ein, dass sie keine Mitbringsel für uns hatten, also los zum Laden...und so, es vergingen nicht einmal sechs Stunden seit der verabredeten Zeit, waren sie endlich bei uns angekommen. Nachdem ich das alles gehört hatte, lachte ich den ganzen Abend. In den Gesichter unserer Freunde spiegelte sich weder Schuld noch schlechtes Gewissen, es war alles ganz normal und selbsverständich so.
Fazit: wenn sie jemanden einladen und dieser taucht aus irgendeinem Grund nicht auf, genießen sie ihr Abendessen und warten nicht. Der Besuch bleibt aus - macht nichts, dann haben sich eben seine Pläne geändert und wenn es das nächste mal mir passiert, wird es mir keiner übel nehmen.

Solche Geschichten erlebte ich zuhauf. Und bergriff mit der Zeit, dass es ja genau das ist - leben im Hier und Jetzt. Die Bhutaner sind große Meister darin. Sie haben keine festen Rahmen in der Zeit, beeilen sich sogut wie nie und sorgen sich nicht zu spät zu kommen. Sie wissen, niemand wird es ihnen krumm nehmen, wenn sie nicht rechtzeitig da sind.
Viele Reisende bemerken, dass die Zeit in Bhutan anders vergeht, als ob es hier mehr davon gäbe. Vielleicht ist es gerade der Tatsache zu verdanken, das man die Zeit hier in keine so engen Schranken weist und es zulässt, dass alles spontan und natürlich geschieht.

P.S. Aber keine Sorge, unsere Guides und Fahrer sind 24 Stunden am Tag in ihrer Nähe, sie übernachten in der selben Hotels wie Sie und der pünktliche Beginn des Programms, sowie die rechtzeitige Ankunft am Flughafen sind garantiert. Jeder, der in Bhutan in der Tourismusbranche arbeitet, ist, durch spezielle Lehrgänge, auf unsere westlichen Anforderungen vorbereitet und setzt alles daran diese zu erfüllen.

Autor des Artikels: Natalia Wangdi
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